Bürgerbeteiligung in SH: Kommentierung des Änderungsantrags zum Energiewende- und Klimaschutzgesetz

Das Thema Bürgerbeteiligung gewinnt in den Bundesländern zunehmend an Bedeutung, da der Ausbau Erneuerbarer Energien verstärkt auf die Akzeptanz und Mitwirkung der Bevölkerung angewiesen ist. Auch in Schleswig-Holstein kommt dieses Thema immer öfter auf die Agenda, da das Bundesland durch seine Vorreiterrolle im Bereich der Windenergie einen hohen Bedarf an Akzeptanzmaßnahmen hat. Bürgerbeteiligung kann entscheidend dazu beitragen, den Ausbau erneuerbarer Projekte lokal abzusichern und das Vertrauen der Bevölkerung zu stärken.

In den letzten Jahren haben mehrere Bundesländer eigene Beteiligungsgesetze eingeführt, die regelmäßig mit zusätzlichem Umsetzungsaufwand und höheren Projektkosten für die Anlagenbetreiber einhergehen. Um eine den Ausbau hemmende Mehrbelastung von Anlagenbetreibern zu vermeiden, hatte der Bundesgesetzgeber eine Begrenzung der kommunalen Abgabe auf 0,3 ct/kWh zur Diskussion gestellt, die auch in Schleswig-Holstein landespolitisch debattiert wurde. Demzufolge hätten 0,2 ct/kWh für die Kommunalbeteiligung nach § 6 EEG 2023 abgezogen werden können, sodass 0,1 ct/kWh für eine etwaige Bürgerbeteiligung verblieben. Eine solche Regelung jedoch würde in der Praxis unweigerlich dazu führen, dass ortsfremde Betreiber das wirtschaftlich günstigere Modell wählen und 0,1 ct/kWh an die Bürger*innen vor Ort zahlen, wodurch partizipative Modelle, wie lokale Energiegenossenschaften, an Attraktivität verlieren. Das Problem: Anwohner*innen werden sich mit einer solchen passiven Zahlung kaum identifizieren und sie nicht mit dem Bau neuer EE-Anlagen in ihrem Umfeld in Verbindung bringen (DGRV, Bündnis Bürgerenergie). Was bedeuten 0,1 ct/kWh für Bürgerinnen und Bürger? Die Antwort: 3,24 Euro pro Jahr

Kurzbewertung zum Gesetzentwurf der Opposition: „Gesetz über die Beteiligung von Kommunen und Bevölkerung am wirtschaftlichen Überschuss von Windenergie- und Photovoltaikanlagen für Schleswig-Holstein“

Wie vermeiden wir einen Flickenteppich?
Die ARGE NETZ begrüßt jedes öffentliche, unternehmerische und politische Engagement zur Stärkung der Bürgerenergie. Als Unternehmensgruppe hat die ARGE NETZ ihre Entstehungsgeschichte in der Bürgerenergie und vertritt unter anderem deren Interessen seit nunmehr 15 Jahren. Der vorliegende Entwurf bietet diskussionswürdige Ansätze, jedoch bestehen auch relevante rechtliche und praktische Herausforderungen, die einer vertieften Überprüfung bedürfen. Ganz prinzipiell sollte jedem gesetzlichen Vorhaben eine Analyse der Datenlage und Datenentwicklung zugrunde liegen, um dem tatsächlichen Handlungsdruck im Bundesland Schleswig-Holstein mit angemessenen Maßnahmen begegnen zu können. Zugleich kann ein Flickenteppich aus bundesweit uneinheitlichen Regelungen kontraproduktiv wirken.

Wirtschaftlicher Überschuss als unzuverlässige Größe
Wenngleich der Überschuss unter der Begriffsbestimmung keine weitere Erwähnung erfährt, ist er ein unzuverlässiger Wert. Durch diverse Umgehungstatbestände wäre er variierbar und daher kontraproduktiv für das gesetzgeberische Vorhaben. Folglich bräuchte es eine Klarstellung sowie eine einheitliche Begriffsverwendung.

Fehlende Übergangsfrist
Dem Gesetzentwurf mangelt es an einer Übergangsfrist. Nach § 1 entscheidet allein die Inbetriebnahme vor oder nach Inkrafttreten des Gesetzes darüber, ob der Betreiber zur Abgabe verpflichtet ist oder nicht. Für besonders weit entwickelte Projekte kann eine ungeplante wirtschaftliche Belastung von 0,3 ct/kWh ein Problem darstellen, insbesondere in der Photovoltaik. Eine Übergangsregelung, die alle Inbetriebnahmen binnen eines Jahres nach Inkrafttreten noch von der Abgabepflicht ausnimmt, wäre angemessen.

Zuwendungsempfänger bei PV-FFA
Ein weiterer Aspekt betrifft den Kreis der Zuwendungsempfänger bei Freiflächensolaranlagen. Nach § 3 Abs. 1 und § 4 Abs. 1 ist im Umkreis von 2.500 Metern um den äußeren Rand von FF-Photovoltaikanlagen die Gemeinde entsprechend ihrem Flächenanteil bzw. die hier gemeldeten natürlichen Personen berechtigte Empfänger. Diese Regelung ist in Deutschland nach unserer Kenntnis bislang einzigartig. Sie erhöht den bürokratischen Aufwand für Anlagenbetreiber*innen und erscheint auch sachlich nicht gerechtfertigt. Üblicherweise wird bei Photovoltaik aufgrund der geringeren visuellen Auswirkungen nur die Standortgemeinde beteiligt.

Abstimmung des Beteiligungsweges überdenken
Die Erhebung von Personendaten im Umkreis von 2.500 Metern um die Turmmitte einer Windenergieanlage ist zwar machbar, aber komplex und mit einem unverhältnismäßig hohen Verwaltungsaufwand verbunden. Die Registrierung berechtigter Personen, sofern mit den bestehenden Datenschutzvorgaben konform, bedeutet eine erhebliche Verwaltungs-aufgabe, insbesondere bei Anlagen in dicht besiedelten Gebieten. Die Personendaten (zuzüglich Kontodaten) müssten regelmäßig aktualisiert werden, da Zu- und Wegzüge eine kontinuierliche Anpassung erfordern. Für berechtigte Personen wäre anschließend zu klären, inwieweit die Einnahmen als steuerfrei gelten. Aus unserer Sicht empfiehlt sich am ehesten das Modell Niedersachsens (§ 6 NWindPVBetG). Dies reduziert den Abstimmungsaufwand und überlässt die Entscheidungsgewalt demjenigen, welcher letztlich den Umsetzungsaufwand zu tragen hat.

Vergünstigte Lieferung von Strom
Einen vergünstigten Strompreis für Anwohner*innen Erneuerbarer Energie Anlagen anzubieten, ist technisch und organisatorisch anspruchsvoll. Eine wesentliche Herausforderung liegt darin, individuelle Stromtarife basierend auf geografischer Nähe zu den Anlagen zu gestalten, was zusätzliche administrative Prozesse und technische Anpassungen bei den Versorgern erfordert. Demgegenüber ließe sich eine Strompreiserlösgutschrift wesentlich einfacher abwickeln. Wichtig wäre dabei die Berechnung der Gutschrift für jeden Haushalt mit bestehendem Stromvertrag, da die Zuordnung eines Vertrags zu einem Haushalt effizient und automatisiert möglich ist. Würde man jedoch mehrere Personen pro Haushalt berücksichtigen, entstünde ein erheblicher Verwaltungsaufwand, da geprüft werden müsste, wie viele Personen – möglicherweise mit unterschiedlichen Nachnamen – tatsächlich in einem Haushalt leben. Diese Prüfung erschwert die Automatisierung, was für die effiziente Abwicklung in großem Maßstab und für eine zügige Umsetzung der Energiewende jedoch entscheidend ist (EnBW Stellungnahme zum Thüringer Beteiligungsgesetz).

Fehlende Ausnahmeregelung
Der Gesetzentwurf sollte konkrete Ausnahmefälle berücksichtigen, die bis dato unerwähnt bleiben, etwa Pilotwindenergieanlagen und Anlagen in Power Purchase Agreements. Notwendig scheinen Befreiungen auch für Windenergieanlagen, die überwiegend der Eigenversorgung eines oder mehrerer Betriebe dienen und innerhalb eines im jeweiligen Regionalplan festgelegten Bereichs für gewerbliche oder industrielle Nutzungen liegen. Um dem eigentlichen Ziel eines etwaigen Beteiligungsgesetzes Rechnung zu tragen und die Akzeptanz von Anwohnerinnen und Anwohnern zu erhöhen, sollte ein etwaiges Gesetz nicht für Bürgerenergiegesellschaften im Sinne des § 3 Nummer 15 des Erneuerbare-Energien-Gesetzes gelten. Eine Abgabe könnte ihre wirtschaftliche Attraktivität und ihren Beitrag zur partizipativen Teilhabe negativ beeinträchtigen.

Ein etwaiges Beteiligungsgesetz auf Landesebene sollte nicht für Bürgerenergiegesellschaften im Sinne des § 3 Nummer 15 des Erneuerbare-Energien- Gesetzes gelten.

Zudem braucht es zwingend politische Angebote für das Thema Energy Sharing als nächste Stufe der Bürgerbeteiligung.

Die Energiewende in Schleswig-Holstein zeichnet sich seit Jahrzehnten durch eine engagierte und tief verwurzelte Kultur der Bürgerbeteiligung aus. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern, in denen Beteiligungsmodelle oft erst in den letzten Jahren stärker gefördert wurden, ist in Schleswig-Holstein bereits seit den Anfängen der Energiewende eine substanzielle und authentische Beteiligungskultur verankert. Bürgerinnen und Bürger, Kommunen sowie lokale Unternehmen haben hier frühzeitig die Chancen und Vorteile der Erneuerbaren Energien erkannt und sich in Form von Genossenschaften, Bürgerwindparks und kommunalen Projekten zusammengeschlossen, um aktiv am Ausbau der Windenergie mitzuwirken. Die Erneuerbaren Energien in Schleswig-Holstein haben sich daher zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entwickelt, der den Menschen im ländlichen Raum eine enorme Steigerung ihrer Lebensqualität bringt - durch direkte und indirekte Arbeitskräfte, direkte und indirekte Beteiligung, Gewerbesteuerzahlungen in Millionenhöhe, Spenden und Stiftungen.

Ein Gesetzentwurf, der davon spricht „etwaige Belastungen [durch Erneuerbare Energien müssten] ein Stück weit ausgeglichen”, ignoriert deren Wertschöpfungseffekte!

Zahlen zur Bürgerbeteiligung und Wertschöpfung durch Erneuerbare Energien finden Sie hier zum Download:

Stephan Frense, CEO ARGE NETZ

„Wir haben eine deutlich bessere Ausgangslage als andere Bundesländer, von daher sollten wir über eine SH-passgenaue Lösung nachdenken! Starre und passive Verpflichtungen verhindern eine ehrliche Mitwirkung regionaler Akteure. Lassen Sie uns gemeinsam prüfen, welche Maßnahmen es tatsächlich braucht, um die Bürgerenergie zu erhalten und zu stärken.”

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Batteriespeicher in Schleswig-Holstein Positionspapier der ARGE NETZ

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Stellungnahme zum Festlegungsverfahren zur Fortentwicklung des sog. Redispatch 2.0